PIERRE LOUAVER


Diethard Behrens, 2019



Grisaille abstraite oder eine ästhetische Reflexion –

zur Kunst von Pierre Louaver



Die Aesthetica des Abstrakten sind in ein besonderes Verhältnis zur Reflexion gesetzt. Das ist der Ästhetik mit dem Beginn der Moderne eingeschrieben. Die Aesthetica des Abstrakten wissen sich in Differenz zu gängig Zeitgenössischem, opponieren dem, das scheinbar zu sehen gibt. Ihre Perspektive aber öffnet sich selbst im partiellen Rückgriff auf den Kubismus, wie er am Anfang des 20. Jahrhunderts sich präsentierte. Der Rückbezug auf diesen, neben anderen aufgenommenen Elementen, scheint primär sich auf die Frères Duchamps zu beziehen. Von diesen, die alle in einer bestimmten Entwicklungsphase zum Kubismus übergehen, sei hier vor allem auf Marcel Duchamp (28.7.1887-2.10.1968) rekurriert.

    Marcel Duchamp ist ab 1904 in Paris und nimmt ab 1910 Kontakt zu den Kubisten der „Section d’Or“ auf. Auch ihm ist die Ablehnung eines falschen Humanismus, die er in Impressionismus und Naturalismus gegeben sieht, eigen. Später, in der Phase  1915-1918, gibt es Kontakte zu Dada und Surrealismus.

Die Tendenz auf den Kubismus lässt sich für die Avantgarde in Europa kurz nach 1900 als eine allgemeine kennzeichnen und insofern stehen die Bemühungen der Frères Duchamp nicht allein. Sie findet sich auch bei russischen Künstlern.

Konzentriert man sich hier auf Malewitsch als einen Vertreter der russischen Kunst aus der vorrevolutionären, der revolutionären und der postrevolutionären, so scheint diese im Suprematismus zu enden. Das schien von langer Hand so angelegt.

Kazimir Severinović Malević (23.2.1878-15.5.1935), ab 1895/6 erst in Kiev, dann in Moskau, zeichnet sich gängigem Urteil nach aus durch „schnelle Assimilation moderner westeuropäischer Kunstrichtungen“. Auch er nimmt den Augang von einer Auseinandersetzung mit dem Impressionismus und Fauvismus. (1903-08) Er greift aber in seinem Wek immer wieder auf die russische Volkskunst zurück. Nicht erstaunlich ist, dass auch er sich eine zeitlang dem Kubismus (etwa bis 1911) widmet, die in partieller Aufnahme des Futurismus bis 1915 andauert. Er nimmt dabei den Weg eines Alogismus. Die Spitze dieses Abstraktifizierungsprozesses bildet das Werk „Das schwarze Quadrat“ (1915), das die neue kubistische Raumvorstellung versinnbildlichen soll. Es soll eine Transzendierung der empirischen Welt andeuten, Vision einer ursächlichen Struktur der Welt.

Damit war die Frage in bezug auf eine zu entwickelnde Ästhetik gestellt, ob das Abstrakte wirklich offen sei. Es wird bei der Beurteilung mit verschiedenen Gegensatzbegriffen gearbeitet: Das Opake der Darstellung als Gegenbild des Abstrakten wobei das Abstrakte als konzeptionelle Offenheit gelten soll; die opaken Körper im Raum; der Raum erscheint einerseits selbst als geschlossener, opaker, andererseits soll er als unabgeschlossen vorgestellt werden, Raum der Reflexion sein.

Die Welt der abstrakten Körper der Avantgarde hat nicht nur Vorläufer bei Euklid und Archimedes, sie verweist auch auf die Tradition der platonischen idealen Körper. Zudem gibt es einen Versuch, der gleichfalls vorrevolutionär, einer allem Körperlichen, so dieser Auffassung gemäß, zugrundeliegenden Struktur zum Ausdruck zu verhelfen. Das ist die Revolutionskunst im Vorfeld der Französischen Revolution.

Einer der maßgeblichen Vertreter der Revolutionsarchitektur ist Etienne-Louis Boullée (12.2.1728-4.2.1799), der zudem versuchte, sein Verständnis von Ästhetik jeweils zu begründen. Es finden sich vielfach an die Antike und den Barock aber auch an altorientalisch-ägyptische Vorbilder angelehnte Entwürfe, sowie solche zu Profanbauten wie Brücken, Tore, Triumphbögen etc. Auch wird Zeitgemäßes nach seinen Entwürfen gebaut. Es finden sich aber auch gigantomane Entwürfe in Anlehnung an das Mittelalter, antike Grabmäler, Kenotaphe, Pyramiden-, Theater- und Museenentwürfe. Der berühmteste ist wohl der Entwurf des Kenotaph für Newton, eine Kugel auf einem Sockel, in dem die Menschen eine winzige Andeutung bleiben. Die meisten seiner Arbeiten blieben Entwurf. Gleichwohl: die reinen geometrischen Formen stehen in vielen Entwürfen im Zentrum als Ausdruck einer Perspektive auf offene Räume.

Louaver zitiert Paul Cézanne „On n’est pas un peintre tant qu’on n’a pas peint un gris“ und bemerkt mit diesem, dass es darauf ankomme, eine „couleur industrielle pré-existante“ zu vermeiden. Bildet nun der Übergang zu einer „grisaille neutre“ ein Moment der Darstellung, sozusagen eine „anamorphose“? Ist die Grisaille „indéfinissable“? Das verweist hier auf die Tradition der „grisailles“.

    Diese findet man in ihrer langen Geschichte in zwei primären Formen: als Kennzeichnung des Lichts und als Schatten. Ihre Funktion als Steinfarbe und als die von Skulpturen, in der Frührenaissance ausgearbeitet, wandelt sich zur Kennzeichnung von etwas neben dem Realen, sei es das Reich der Toten, sei es das Feld des Transrealen. In jedem Fall verstärkt sie aber die Bedeutung von etwas nicht reell Festgelegtem.

    Louaver will festhalten, dass mit der Grisaille eine Distanz zur naiven Wahrnehmung des Reellen möglich werde. Das unterschiedliche Grau des Abstrakten, das die Reflexion auf Raum und Körper provoziert, transportiert indessen zugleich auch die Welt des Opaken. Diese scheint die Unerkennbarkeit von Raum, Denken und Körper zu evozieren. In dem Augenblick aber, da, wie Louaver das präsentiert, es bei den Objekten zwei Ebenen gibt, mit Durchlässen oder Halbtransparentem, ist die Perspektive auf Reflexion wieder als offene möglich. Das, was im niederländischen Frühbarock über die gebrochenen Wolkenfelder vollzogen ist, die es gestatten, das unterschiedliche Licht, das die Landschaft erhellt, wahrzunehmen und damit die Welt als prinzipiell offene in vielerlei Perspektiven erfahrbar zu machen, wird hier in der Welt der Abstrakten,  die ein über sie Hinausgehen mittels der Phantasie und Vorstellung erzwingt, in einer Weise vorgestellt, die das Dahintergehen, die Suche nach dem Substantiellen, als Fragedimension wieder neu eröffnet.